Die Rolle der Parlamentarier:innen für eine minenfreie Zukunft – Appell von Gniep Smoeun, Minenüberlebende und Sprecherin von Handicap International
Anlässlich des 25-jährigen Bestehens des Vertrags über das Verbot von Antipersonenminen hat Gniep Smoeun, Minenüberlebende aus Kambodscha und Sprecherin von Handicap International, ihre Geschichte an der Konferenz der Interparlamentarischen Union in Genf zum Thema Bewaffnete Konflikte und Behinderung: Stärkung der parlamentarischen Massnahmen im Bereich Behinderung während und nach bewaffneten Konflikten geteilt. Die Kambodschanerin, der im Alter von zehn Jahren ein Bein amputiert werden musste, nachdem sie auf eine Mine getreten war, erinnerte die Parlamentarier:innen daran, dass dringend etwas getan werden muss, um die Zivilbevölkerung vor den verheerenden Folgen von Minen und Streumunition zu schützen. Lesen Sie ihre Rede.
Gniep während ihrer Rede am 15. Oktober 2024 in Genf. | ©Union Interparlementaire
Seine Königliche Hoheit Prinz Mired von Jordanien,
sehr geehrte Co-Panelist:innen,
sehr geehrte Parlamentarier:innen,
meine Damen und Herren
Mein Name ist Gniep Amélie Smoeun und ich bin heute hier, um Ihnen meine Geschichte zu erzählen. Wie Sie auf der Leinwand sehen können, beginnt diese Geschichte in meiner Kindheit. Ich war gerade einmal zehn Jahre alt, als mein Leben auf den Kopf gestellt wurde. Als ich an diesem Tag Wasser für meine Familie holen wollte, trat ich an der Grenze zwischen Thailand und Kambodscha auf eine Landmine. Im Bruchteil einer Sekunde wurde mir mein rechtes Bein weggerissen, zusammen mit meinen Kindheitsträumen, insbesondere meinem Traum, Tänzerin zu werden. Dieser Moment hat meine Träume für immer zerstört und meine Zukunft bestimmt.
Ich war dem Tode nahe und musste mich 17 schmerzhaften Operationen unterziehen, um zu überleben. Aber überleben ist nicht alles … In einem Bürgerkriegsland wie Kambodscha sind Mobilitätshilfen wie Prothesen eine Seltenheit. Weder die finanziellen noch die medizinischen Mittel reichten angesichts der grossen Zahl der bedürftigen Menschen aus, um sie in genügender Zahl herzustellen und an die Betroffenen zu verteilen. Im Flüchtlingslager, in dem ich damals an der kambodschanisch-thailändischen Grenze lebte, gab es etwa 6000 Amputierte. Das Lager war ein Meer von blauen Zelten, in denen das Gesetz des Stärkeren herrschte.
Nur dank des Einsatzes von aussergewöhnlichen Menschen wie Dr. Jean-Baptiste Richardier und seinem Team erhielt ich ein Jahr nach meinem Unfall meine erste Prothese. Als Gründer von Handicap International hat er diese Organisation ins Leben gerufen, um das Leiden Tausender Amputierten wie mir – Kinder, Frauen und Männer der Zivilbevölkerung, die in die Tragödien des Krieges verwickelt waren – zu lindern und ihnen wieder Hoffnung zu geben.
Ich musste wieder gehen lernen und meine Prothesen ermöglichten mir ein relativ normales Leben, eine gewisse Unabhängigkeit und vor allem Menschenwürde.
Geprägt durch diese schmerzhaften Erfahrungen bin ich Pflegefachfrau geworden und lebe heute in Frankreich. Doch mein Weg als Überlebende war nicht immer leicht. Auch heute noch gibt es viele Vorurteile gegenüber Menschen mit Behinderungen und leider auch viele Barrieren. Zum Beispiel beim Zugang zu Arbeit.
Ich schätze mich ausserordentlich glücklich, heute hier bei Ihnen zu sein. Aber Tausende Opfer hatten nicht das Glück zu überleben. Und von denen, die überlebt haben, sind viele aufgrund ihrer Behinderung in einem Teufelskreis der Armut gefangen. Wie Sie vielleicht wissen, gibt es einen Zusammenhang zwischen Behinderung und Armut, der auf eine tiefe Kluft zwischen persönlichen Bedürfnissen und gesellschaftlichen Notwendigkeiten zurückzuführen ist: mangelnder Zugang zu Bildung, eingeschränkte oder nicht vorhandene berufliche Möglichkeiten, niedrigere Löhne und hohe Lebenshaltungskosten für Menschen mit Behinderungen. Diese Realität versetzt viele Überlebende in eine prekäre Lage, die mit ihren Behinderungen und ihren Grundbedürfnissen zusammenhängt, und in eine extreme und dauerhafte Schutzbedürftigkeit.
Deshalb ist der Vertrag über das Verbot von Antipersonenminen, dessen 25. Jahrestag wir heute begehen und für den ich mich seit 1989 einsetze, ein wichtiges Instrument, um all diesem Leid ein Ende zu setzen. Der Vertrag ist ein Symbol der Hoffnung, der Widerstandskraft, der Gerechtigkeit und des Respekts. Er hat in vielen Teilen der Welt Tausende Menschenleben gerettet und unnötiges Leid verhindert. Doch trotz aller Fortschritte gibt es noch viele Hindernisse.
Aus diesen Gründen, verehrte Parlamentarier:innen, wende ich mich heute an Sie. Als nationale Gesetzgeber:innen kommt Ihnen eine entscheidende Rolle bei der Fortsetzung dieses Kampfes zu.
Bisher sind 164 Staaten dem Vertrag beigetreten. Obwohl dies mehr als 80 Prozent der Staaten der Welt sind, fehlen uns immer noch Vertragsstaaten. Sie haben die Macht und die Verantwortung, etwas zu verändern! Ihre Handlungsmöglichkeiten sind vielfältig:
Fordern Sie Ihre Regierungen auf, den Vertrag zu ratifizieren oder ihm beizutreten, Gesetze zu verabschieden, die den Verpflichtungen des Vertrags entsprechen, und die Regierungen für die Einhaltung dieser Verpflichtungen verantwortlich zu machen.
Dasselbe gilt für den ebenso wichtigen Vertrag, der eine weitere Waffe verbietet, die wahllos tötet: das Übereinkommen über Streumunition. Stellen Sie sicher, dass Ihre Regierung keinen Verstoss gegen diese Verträge oder eine Schwächung der wichtigen internationalen Standards, die in diesen Verträgen festgelegt sind, zulässt.
Um dies zu erreichen, fordere ich Sie auf, mit der Zivilgesellschaft und internationalen Koalitionen wie der Internationalen Kampagne zum Verbot von Landminen – Koalition gegen Streumunition (ICBL-CMC) zusammenzuarbeiten, um die Öffentlichkeit zu sensibilisieren und Advocacy-Arbeit auf nationaler und internationaler Ebene zu betreiben. Nutzen Sie auch diplomatische Kanäle, um Druck auf Nichtunterzeichnerstaaten auszuüben, diesen lebenswichtigen Übereinkommen beizutreten.
Als Parlamentarier:in haben Sie die Macht, durch Ihre legislativen, haushaltspolitischen und Kontrollfunktionen zu handeln. Sie können sicherstellen, dass die in internationalen Rechtsinstrumenten verankerten Rechte von Menschen mit Behinderungen sowohl während als auch nach Konflikten auf nationaler Ebene wirksam anerkannt und umgesetzt werden. Es ist wichtig, das Bewusstsein für die besonderen Schwierigkeiten zu schärfen, mit denen Menschen mit Behinderungen in Konflikten konfrontiert sind, und sicherzustellen, dass besonders gefährdete Gruppen wie Frauen und Kinder mit Behinderungen den besonderen Schutz erhalten, den sie benötigen.
Durch die Ratifizierung von Verträgen wie dem Übereinkommen der UNO über die Rechte von Menschen mit Behinderungen und die Verabschiedung entsprechender nationaler Gesetze können Parlamente den Schutz und die Einbeziehung von Menschen mit Behinderungen beim Wiederaufbau nach Konflikten sicherstellen.
Sie spielen auch eine Schlüsselrolle bei der Budgetzuteilung für Rehabilitationsmassnahmen, assistive Technologien und inklusive humanitäre Hilfe, insbesondere in Notsituationen.
Nutzen Sie daher Ihre wichtige Aufsichtsfunktion, um sicherzustellen, dass Gesetze und Programme tatsächlich umgesetzt werden und dass Regierungen für die Einhaltung der Rechte von Menschen mit Behinderungen zur Rechenschaft gezogen werden.
Schliesslich können Sie durch die Förderung der internationalen Zusammenarbeit Ihre Regierungen dazu ermutigen, regionale Partnerschaften einzugehen und den betroffenen Staaten finanzielle und technische Hilfe zukommen zu lassen.
Seine Königliche Hoheit Prinz Mired von Jordanien,
sehr geehrte Parlamentarier:innen,
meine Damen und Herren
Während wir die Fortschritte der letzten 25 Jahre würdigen, ist es wichtig, daran zu erinnern, dass die Arbeit noch lange nicht abgeschlossen ist. Antipersonenminen töten und verstümmeln weiterhin täglich Menschen. Solange Länder diese Waffen einsetzen oder Bestände lagern und solange unschuldige Kinder, Männer und Frauen das Grauen erleben, das ich erlebt habe, müssen wir angesichts dieser Bedrohung aktiv und vereint bleiben.
Der 25. Jahrestag des Vertrags über das Verbot von Antipersonenminen ist eine Feier und zugleich eine eindringliche Mahnung an den gewaltigen Weg, der noch vor uns liegt. Sie, verehrte Parlamentarier:innen, sind die Stützen dieses Kampfes. Ihr Engagement, Ihre Wachsamkeit und Ihr Einsatz sind entscheidend, um diese Welt zu einem Ort zu machen, an dem Antipersonenminen keinen Platz mehr haben.
Wir, die Überlebenden von Landminen und diejenigen, die weniger Glück hatten als wir, zählen auf Sie. Seien Sie sich Ihrer Macht bewusst. Wir stehen Ihnen zur Seite, indem wir unsere Erfahrungen mit Ihnen teilen und Sie über die Bedürfnisse der betroffenen Gemeinschaften beraten. Ich freue mich darauf, die Diskussion über konkrete Massnahmen im Rahmen dieses Panels fortzusetzen. Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
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Nadia Ben Said
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